Wie kommt Arznei in die Ampullen

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Als die Einladung zur Betriebsbesichtigung in einer Firma, die Heel heißt, auf den Tisch flattert, ist mein erster Gedanke: "Oh cool. Da geht es doch bestimmt um Schuhe. Wahrscheinlich sogar um elegante, schwindelerregend High Heels." Tja, falsch gedacht. "Da sind Sie nicht die Einzige ", tröstet Generaldirektor Marc Deschler. Das Unternehmen Heel in Baden-Baden hat weder mit Damen- noch mit Frauenschuhen etwas am Hut, noch weniger mit Fashion. Es sei denn, man findet Ampullen gefüllt mit homöopathischen Flüssigkeiten sexy. Denn genau diesen Job macht Heel GmbH im beschaulichen Kurstädtchen. Sie vertreibt ihre Produkte, u.a. 87 Millionen homöopathische Ampullen jährlich, in 50 Länder weltweit.
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Der Firmenname Heel setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben des lateinischen Satzes ‚Herba est ex luce‘, was so viel bedeutet wie "Die Heilpflanze bezieht ihre Kraft aus dem Sonnenlicht", verrät uns Marc Deschler noch. Heute wird der Name Heel ergänzt durch den Zusatz "healthcare designed by nature", um der Internationalität des Unternehmens Ausdruck zu verleihen.  Heel GmbH hat weltweit ungefähr 1.400 Mitarbeiter, davon arbeiten 850 in Baden-Baden.
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IMG_8193Doch bevor wir die Abfüll-Abteilung besichtigen dürfen, müssen wir uns hygienisch einwandfrei verpacken. Transparente Schutzmäntel und -hauben sollen dafür sorgen, dass kein Hautschüppchen und Härchen sich verselbständigen. Unter großem Hallo und viel Gelächter machen wir uns "schick" für die Führung.
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Und dann geht es in media res (so weit ich es verstanden habe): Die Ampullen werden von einem Glashersteller gebacht. Entweder bekommt man sie oben offen geliefert oder zugeschmolzen. Im ersten Fall sind sie billiger, müssen aber vor der Befüllung aufwändig gewaschen werden. Im zweiten Fall, für den sich Heel entschieden hat, müssen die Glasfläschen vor der Befüllung oben aufgeschmolzen werden. Die Befüllung läuft in Maschinen - eine Kanüle (ähnlich wie bei einer Spritze) wird in die Ampulle eingeführt, die Lösung läuft in die Ampulle , die Kanüle wird entfernt und die Ampulle 20 Minuten lang bei 121 Grad Celsius sterilisiert und gleichzeitig zugeschmolzen. Das geht so schnell, dass eine thermische Zersetzung des Inhalts ausgeschlossen ist. Die ganze Maschine ist in einem Sterilraum untergebracht, so dass keinerlei Keime, kein Staub, etc. in die Ampullen eindringen kann.

Wir müssen - trotz sexy Verpackung - draußen bleiben und können nur durch eine Scheibe zugucken.  "Die Räume sind nach amerikanischen Standart zertifiziert. Das heißt sie sind so steril, dass wir dort sogar Herzoperationen durchführen könnten", erklärt Marc Deschler. "Die Zeiten, dass Naturheilmediziner mit nackten Oberkörper und Sandalen bei Vollmond Kräuter sammeln sind schon lange vorbei," nimmt er manch einem in der Gruppe die esoterischen Illusionen.
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Nach dem Befüllen werden die Glasfläschen geschüttelt und beleuchtet,  um zu prüfen, ob sich doch ein  Staubkörnchen in die Flüssigkeit verirrt hat. Dann werden sie unter Strom gesetzt, um die Leitungsfähigkeit zu prüfen. So kommt man möglichen Kratzer oder im schlimmsten Falle Risse aus die Spur. "Die Ausschussquote liegt bei unter 2 Prozent", sagt Marc Deschler stolz. Anschließend werden die einzelnen Ampullen in 5er-Trays eingeschweißt und durch eine Verpackungsmaschine in die Kartons geschleust. 87 Mio. Fläschen werden jährlich so produziert.
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Da die ganze Anlage lückenlos computerüberwacht ist, kann weder etwas von außen in die Ampullen eingeschleust noch eine Ampullen aus dem Gebäude rausgeschmuggelt werden. Die Versuchung bei uns zuzugreifen ist dementsprechend gering.
Auch einen Blick in das imposante vollautomatische Hochregallager dürfen wir werfen. Hier ist keine Menschenseele außer uns zugange.
Und noch etwas verrät uns Marc Deschler: "Die Beauty-Industrie verwendet Kosmetik-Ampullen nur der Show wegen. Ein medizinischer Nutzen steckt nicht dahinter."
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Gegründet wurde das Unternehmen  1936 von dem Arzt und Homöopathen Dr. Hans-Heinrich Reckeweg in Berlin. Dieser hatte nach Eröffnung einer eigenen Praxis im Anschluss an sein Medizinstudium rasch festgestellt, dass ein nicht zu vernachlässigender Bedarf an natürlichen Arzneimitteln bestand, die einfach und effektiv anzuwenden sind. Reckeweg entwickelte daraufhin die klassische Homöopathie dergestalt weiter, dass er homöopathische Wirkstoffe neu zu homöopathischen Kombinationspräparaten zusammenstellte und darüber hinaus die Homotoxikologie (‚moderne Homöopathie‘) als umfassendes Therapiekonzept begründete. Zu den größten Abnenehmern gehören lateinamerikanische Länder wie Kolumbien", erzählt Deschler. "Das hängt mit der großen Affinität dieser Länder zur Pflanzenheilkunde zusammen."