Vom Feld in den Eimer: Wie Sauerkraut entsteht

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Sauerkraut ist und bleibt ein deutsches Kultprodukt. Fotostudio Miko


Habt Ihr euch auch schon mal gefragt, wie Sauerkraut hergestellt wird? Ich schon öfters. Darum habe ich mich über das Angebot von Heinrich Egg gefreut, ihn bei der Kohlernte zu besuchen. Mit allen Begleiterscheinungen, die dieser Tag mit sich bringt.

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Weisses Gold: Der lehm- und nährstoffhaltige Boden rings um Kittersburd (Baden) ist ideal für das Gedeihen des Weißkohls

Es graupelt, es ist kalt, das Tageslicht noch fern – ein Morgengrauen im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist Heinrich Egg egal. Den Landwirt hält nichts mehr in der guten Stube. Der Weißkohl (Weisskabis) muss geerntet werden, „Sonst besteht die Gefahr, dass die Köpfe platzen“, sagt der Sauerkrautproduzent aus Kittersburg. Der gewinnt dem Regen sogar eine gute Seite ab. „Der Weißkohl liebt viel Niederschlag.“ Mit einem satten Seufzen versinken Eggs Gummistiefel in der aufgeweichten schweren Erde, als er vom Traktor springt, um die aufgeschichteten Kohlhaufen auf seinem zweieinhalb Hektar großen Acker zu inspizieren.

Chef haut stiel raus
Chefsache, den Strunk unten rauszubohren
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Marke Eigenbau: Heinrich Eggs Vater hat die “Blattrupfer”-Maschine erfunden. Mir ihr befreien die Erntehelfer die Kohlköpfe von ihren äußeren Blättern.

„Es gibt Sorten, die ab August reift sind. Doch der spätere Kohl lässt sich eindeutig besser putzen, vor allem wenn es regnet“, schmunzelt der Bauer, von dessen Hutkrempe konstant ein Rinnsal tropft. Selbst der imposante Schnauzer lässt sich angesichts des Nieselregens hängen. Egg ist mit Trecker und Hänger an einem Oktobersamstag in der Dunkelheit hinaus aufs Feld gefahren. Dort warten schon die Erntehelfer, um die runden Köpfe einzusammeln, die am Vortag maschinell geschnitten wurden. Ein „normaler“ Kohl bringt es auf durchschnittlich zwei bis fünf Kilogramm. Schwerstarbeit, die Dinger mit der Heugabel auf die mobile „Blattrupfer“-Maschine zu wuchten. „Marke Eigenbau“, schmunzelt Heinrich Egg. Sein Vater hat sie vor 25 Jahren entwickelt, weil der heimische Hof für diese Arbeit einfach zu eng war. Mit diesem Unikat werden die Köpfe noch auf dem Feld von den Blättern befreit, geputzt und verarbeitungsfertig für den Gärsilo gemacht.

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Fast der beste Teil des Tages: die Pause

Dem 48-jährigen Chef kommt die Aufgabe zu, den Strunk vom Gemüse zu trennen. Dazu setzt er es auf eine Art Bohrer und holt so den holzigen Teil heraus. Ein Förderband transportiert den dermaßen bearbeitet Kohl durch einen Metallzylinder. Die darin montierten Zinken rubbeln die äußeren Blätter weg. Am Ende der Röhre rutscht der Kohl wieder über ein Fließband zu den Mitarbeitern, die in Handarbeit die übrig gebliebenen Blätter beziehungsweise mit einem Messer dunkle Stellen lösen. „Ich sage den Kollegen immer wieder, ihr müsst so putzen, als wenn ihr den Kohl selber essen wollt.“ Wieder über ein Laufband wandern die gesäuberten Köpfe hoch auf den Hänger, wo ein weiterer Helfer sie säuberlich aufstapelt.

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Vom Lkw direkt aufs Fließband, das die Krautköpfe zur Weiterverabeitung in Richtung Silo schickt
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In der Häckselmaschine werden die Kohlköpfe in feine Streifen geschnitten

Mit der aufgehenden Sonne lässt allmählich der Regen nach, die Sonne spitzt hinter den Wolken hervor. Die ist übrigens ein wichtiger Faktor für das Gelingen der Ernte. „Sonst färbt sich der Kopf grau“, weiß Egg, der eigentlich gelernte Mechaniker ist. „Generell unterscheidet man bei Weißkohl zwischen den Sommer- und Herbstsorten sowie dem Frühlingskohl. Je nachdem, für welche Sorte man sich entscheidet, müssen verschiedene Pflanzzeiten beachtet werden. Beim Anbau ist es wichtig, dass man Kohlgewächse nicht hintereinander auf ein und demselben Beet anbaut, da sich sonst Krankheiten ausbreiten können. Empfehlenswert ist eine Anbaupause von vier Jahren“, gibt der Fachmann eine kleine Einführung in die Geschichte des Gewächs, dass schon vor über 6000 Jahren die Chinesen milchsauer vergoren als Sauerkraut zubereitet haben.

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Leise wie Schnee rieselt das gehäckselte Kraut zu Heinrich Egg hinab. Der Bauer schichtet das gesalzene Kraut gleichmäßig im Silo, wo es die nächsten Wochen in aller Ruhe vor sich hingären kann

Mittags kehrt die Erntetruppe mit den glänzend weißen Krautköpfen zurück auf den Hof. Hinter ihnen bleibt ein Acker zurück, der wegen des Blätterabfalls aussieht, als hätte es geschneit. In der Scheune wird der Hänger entladen und die Ausbeute auf einem Förderband in Richtung Gärbehälter geschickt. Auf dem Weg dorthin schneidet eine Häckselvorrichtung den Weißkohl in feine Streifen. Bevor die Schnitzel sanft in den bis zu 15 Tonnen fassenden Silo rieseln, werden siemit etwa 1,8 Prozent Kochsalz vermengt. Unten im Behälter steht Heinrich Egg und verteilt mit einer Heugabel gleichmäßig das gesalzene Kraut. Mehr braucht’s nicht, um den Gärprozess in Gange zu setzen. Egg erklärt, wie’s funktioniert: „Das aufeinander geschichtete Kraut setzt sich selbst unter Druck. Dadurch tritt durch Pressung und Zugabe von Kochsalz Zellsaft aus. Dieser füllt die Zwischenräume zwischen den Weißkohl-Schnitzeln, vertreibt die noch verbliebene Luft aus dem Gärbehälter und bildet den Nährboden für die Milchsäurebakterien, die für das Vergoren verantwortlich sind.“ Insgesamt sechs Silos sind im ehemaligen Kuhstall untergebracht, in denen bis zum Ende der Saison rund 250000 kleingeschnippelte Weisskabis vor sich hin säuern.

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In verschiedenen Verpackungseinheiten ist das fertige Saurkraut im Handel und direkt auf dem Hof bei Heinrich Egg erhältlich

Je nach Jahreszeit und Temperatur in den Gärsilos dauert der Prozess zwischen 14 Tagen und drei Monaten. Nach zehn bis zwölf Tagen erreicht das Sauerkraut einen Milchsäuregehalt von rund einem Prozent. Egg reicht direkt aus einem anderen Gärbehälter eine Probe zum Naschen. Dieses Kraut schmeckt angenehm mild, hat aber bereits den typisch säuerlichen Geschmack. „Wer es herzhaft-sauer liebt, muss noch ein bisschen länger warten“, lacht der Kittersburger.

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Geschafft! Nach einem langen Arbeitstag sind Erntehelfer wie Kohlbauer froh über die randvoll gefüllten Gärsilos

Ist der richtige Säuregrad erreicht, wird das frische, rohe Sauerkraut ohne Hitzebehandlung in Kunststoff-Eimer und Klarsichtbeutel abgefüllt und an die regionalen Abnehmer ausgeliefert. Bei 4 bis 8 Grad und trockener Aufbewahrung verträgt es später im Handel Lagerzeiten von bis zu zweieinhalb Monaten in Plastikeimern und bis zu sechs Monaten in transparenten Beuteln aus Verbundfolie. Kenner kaufen aber auch gerne ihren Krautbedarf direkt in Kittersburg selber. „Die Deutschen essen nur bis April Sauerkraut, während es bei den Elsässern das ganze Jahr über auf dem Speiseplan steht,“ hat Egg die Erfahrung gemacht.
Bis ins Frühjahr hinein hält Eggs eigener Vorrat nicht. Frei nach Pfarrer Kneipps Loblied aufs Kraut als „Besen für Magen und Darm“ kommt bei seiner Familie mindestens einmal, wenn nicht sogar öfters in der Woche Sauerkraut in allen möglichen Variationen auf den Tisch. „Es gibt einfach viel zu viele gute Rezepte für das Kraut“, schwärmt der zweifache Familienvater und blickt versonnen in den Silo mit dem frischen Nachschub.

Ich habe mich gefühlt, wie bei der "Sendung mit der Maus", nur viel beeindruckter und begeisteter, weil in hautnahe selbst erlebt. Ab jetzt wird mir Sauerkraut noch besser schmecken wie zuvor. Wie man dieses zubereitet, erfahrt Ihr demnächst in einem der nächsten Posts.

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